Karfreitag. Ein wichtiger Tag fuer Christen in aller Welt.
Der Tag an dem wir Jesus Tod gedenken.
Ein Tag an dem in zahlreichen Kirchen Gebete stattfinden, Menschen innehalten und nachdenken.
Karfreitag 2011 in Brasilien. Zusammenkommen in einer wunderschoenen Kolonialstilkirche am Park.
Stille im Gebaeude, nur das leise Knattern arbeitender Ventilatoren ist zu hoeren. Dann die Stimme einer Frau. Ruhig und weich. Die letzen Tage Jesus im Kreis seiner Juenger, Verrat und Verhaftung. Tod am Kreuz. Stille in jedem Moment, in dem Worte der Bibel den hohen Raum, die Helle Kirche fuellen. Eine Stunde spaeter treten ich hinaus auf die Strasse in das Gewuehle des Tages. Nehme die Worte mit mir, lasse meine Eile dort. Die heisse Sonne brennt, die schwere Luft drueckt und doch habe ich Gaensehaut, wenn auch nur fuer einen Moment. So denken wir doch, jedes Jahr aufs neue, an jenen Tag, von dem wir nicht einmal genau wissen wann er war. Es sind nur die uralten Worte, die jemand vor mehr als 2000 Jahren mit Tinte auf Papier geschrieben, die uns die Geschichte eines Mannes erzaehlen, der so viel groesser war als wir alle. Es sind nur uralte Worte und doch so zeitlos und ehrlich, dass sie Jesus Christus jedes Jahr aufs neue in unser hier und jetzt holen und beruehren.
Wenig spaeter stehe ich an der Bushaltestelle und warte auf die 494 nach Rubem Berta.
Am Nachmittag werden vom Cesmar die letzen Tage Jesu inszeniert – vom Letzten Abendmahl, ueber den Verrat und die Festnahme bis hin zur Kreuzigung und dem Tod. Das alles auf dem Weg durch das Viertel, in Kostuemen mit Schauspiel. Ein Kreuzweg der besonderen Art, laut Franziska, meiner Mitfreiwilligen, allerdings typisch fuer Lateinamerika. Fuer Europa aber ganz und gar nicht. Angekommen im Projekt sind zahlreiche Educadoren bereits verkleidet, einige stecken schon voellig in ihrer Rolle.
So sieht man beispielsweise kein Laecheln mehr, nur noch eine ernste Miene in Fabianos sonst so froehlichen Gesicht, der als roemischer Soldat sein Schild fest in der Hand haelt. Und auch Pilatus ueberrascht mit ungewohnt koeniglicher Haltung. Ein seltsames Gefuehl macht sich breit, versetzt mich doch das was ich hier sehe 2000 Jahre zueruck in Jesus Zeit. Und ich erwische mich dabei, den Soldaten vor Demut unbewusst den Vorrang durchs Tor zulassen auf dem Weg zur ersten Station. Viele Menschen aus der Nachbarschaft haben sich schon versammelt und warten gespannt auf grosses Schauspiel. Kinder sitzen geduldig am Strassenrand. Und auch Jesus Juenger warten bereits in Position.
Als es dann soweit ist, wird zu allererst eine wunderschoene Einleitung gesprochen. Dass wir nicht vergessen wollen, wer Jesus war, dass wir nachspielen um zu erinnern, wird offenen Ohren erklaert. Und dann geht es los. Aus dem Kreis der Zuschauer stuermen ploetzlich zwei Maenner hervor, eine Frau mit sich ziehend. Sie schupsen sie zu Boden, werfen sie vor die Fuesse Jesu. Auf den Vorwurf des Ehebruchs und den Vorschlag zur Steinigung folgen beruehmte Worte aus der Bibel. „Wer selbst ohne Suende ist, der werfe den ersten Stein.“
Mit Gaensehaut am ganzen Koerper stehe ich da. Atemberaubende Stille herrscht unter den Zusehenden. Wie gerade geschehend fuehlt sich an, was man so oft gelesen, so haeufig erzaehlt bekommen. Live dabei sind wir, fluester ich mir zu. Und ich beginne zu glauben der Mann mit Perueke und vollem Bart in hellem Gewand ist wirklich unser Jesus. Und so ziehen sie weiter, Jesus und seine Juenger, zu naechster Station, gefolgt von einer Traube Anwohner.Das letzte Abendmahl an einer Strassenecke.


Und dann beginnt es zu regen. Und es regnet und regnet und der Himmel zieht sich zu.
Und das Schauspiel geht weiter doch keiner hoert mehr hin. Alle Welt schaut gen Himmel, erfuerchtig, unsicher.

Und der Regen wird staerker, und heftiger Wind weht. Jesu Juenger sprechen weiter doch man kann sie nicht mehr hoeren. Zu stark weht der Wind, zu sehr peitscht der Dreck in ins Gesicht.Passiert das gerade wirklich, frag ich mich. Und das Wetter wird zum Sturm. Jetzt brechen auch die Schauspieler ab und Jesus wird wieder zu den Mann hinterm Schreibtisch im Hauptbuero. Frauen und Kinder laufen nach Hause raus aus dem Regen. Wir klettern auf einen Planwagen, durchnaesst bis auf die Knochen von wenigen Minuten im Regen. Schwarz ist jetzt der Himmel und auch der Strom in den Strassen ist ausgefallen. Kein Licht in der ganzen Favela, keine Sicht, nur Gefuehle. Katastrophisch fuehlt es sich an. Nach ewigen Minuten erreichen wir dann das Cesmar, steigen tropfend aus klapprigem Planwagen und eilen ins Gebaeude. Kein Strom auch hier. Doch schon bald brennen erste Kerzen mutig in riesiger Dunkelheit.
Wartend auf meine Mitfahrgelegenheit raus aus der Dunkelheit, zurueck ins Zentrum, sitze ich im Flur. Nur nach Hause will ich, raus aus nassen Klamotten, unter heisse Dusche, auf weiches Sofa. „Wir sind hier gleich raus, in trockenem, mit Strom versorgtem, wasserdichen Haus. Die Familien aber kommen jetzt vielleicht in kleiner Huette an, ohne Licht, ohne warme Dusche. Vielleicht tropft es auch durchs Dach.“ Da hast du sicher Recht Franziska.
Und dann denke ich zurueck an Jesus, der gerade noch mit uns auf offener Strasse stand. Fast zu Traenen geruehrt hat mich jene Inszenierung. Und es laesst mich traurig, dass sie so unterbrochen. Wie gerne haette ich mich voll und ganz davontragen lassen, von jener wahren Geschichte. Und dann ploetzlich faellt mir auf. Vielleicht war alles echter als ich verstehen mag.
Denn „zwischen Mittag und drei Uhr zog sich dann der Himmel zu. Alles verdunkelte sich und Jesus schrie gen Himmel: Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“